Pfingsten, Politik und Prinzipien – Warum Demokratie mehr ist als ein Glaube

Pfingsten, Politik und Prinzipien – Warum Demokratie mehr ist als ein Glaube

Ein Pfingstgedanke zwischen Arbeitswelt und Vertrauen: Pfingsten – das Fest des Geistes. Es erinnert daran, wie eine Gemeinschaft durch Sprache und Inspiration zusammenfand – nicht durch Macht, sondern durch Verstehen.

Eine schöne Utopie, die weit über religiöse Kreise hinausweist. Vielleicht ist Pfingsten heute sogar aktueller denn je – in einer Welt, in der Verständigung zunehmend schwerfällt. Zwischen demokratischer Ordnung und religiöser Moral, zwischen staatlicher Autorität und individueller Orientierung.

Zwischen Koran, Kreuz und Kanzleramt. Was ist gerecht? Diese Frage begegnet mir regelmäßig – nicht nur als Demokratin, sondern auch als Schöffin. Gerade in Verfahren, in denen Angeklagte aus streng religiösen Kulturen kommen, wird deutlich, wie unterschiedlich unsere Vorstellungen von Ordnung sein können. In vielen Gesellschaften spielt Religion eine bedeutend stärkere Rolle als der Staat, oder schafft fundamentalistische Gruppen, deren Machtbestrebungen nicht im Einklang mit den Strukturen stehen. Die Polizei gilt oft als korrupt, der Staat als autoritär – Vertrauen liegt eher in der Familie, der Ehre oder dem religiösen Recht. Religion wird dort nicht nur als spiritueller Rahmen verstanden, sondern als gesellschaftliche Ordnung. Als das, was „Recht und Unrecht“ sichtbar macht.

Und bei uns? Wenn die Demokratie zum toten Buchstaben wird. Auch in unseren demokratischen Strukturen wächst das Misstrauen. Der Staat als Garantiemacht für Gerechtigkeit? Viele erleben ihn als langsam, als gefesselt durch Lobbyinteressen, als schwerfällig oder gar unglaubwürdig. Wenn Politiker wie Alexander Dobrindt öffentlich richterliche Urteile mißachten, weil sie nicht zur parteipolitischen Erzählung passen – dann beschädigt das nicht nur ein Urteil, sondern die Idee von Demokratie selbst.

Denn Demokratie ist kein Glaubenssystem, sondern ein Verfahren. Und genau darin liegt ihre Stärke: Sie verlangt von uns, das Verfahren über die Meinung zu stellen. Das ist anstrengend – aber eben auch gerecht.

Post-Glauben und neue Ersatzgötter. Wenn Religion ihre ordnende Kraft verliert, entstehen neue Instanzen der Orientierung – Märkte, Gruppenidentitäten oder algorithmische Wahrheiten. Doch diese bieten selten Raum für Zweifel. Demokratie hingegen lebt vom Zweifel – und gerade darin liegt ihre Stärke. All diese Formen bieten Halt – aber sie ersetzen nicht die demokratische Aushandlung. Denn sie dulden selten Widerspruch. Was wir stattdessen brauchen, ist etwas, das Vertrauen wieder wachsen lässt. Nicht als Mythos, sondern als Haltung. 

Der Arbeitsraum als Demokratie-Raum. Genau hier setzt unsere Arbeit bei ZOON e.V. an. Wir bringen demokratische Prinzipien dorthin, wo Menschen täglich miteinander zu tun haben: in Unternehmen, Organisationen, Bildungseinrichtungen.

Denn wer sagt eigentlich, dass Demokratie nur am Wahltag stattfindet? Oder dass man für Mitbestimmung immer gleich Mitglied eines Parlaments sein muss?

In unseren Modulen erleben Menschen, wie es sich anfühlt, gehört zu werden, was es bedeutet, zuzuhören. Entscheidungen mitzutragen. Konflikte demokratisch auszuhandeln. Perspektiven zu wechseln – und darin die Würde des Anderen zu entdecken. 

Wir schaffen Räume, in denen Demokratie nicht als Staatsform, sondern als Haltung spürbar wird. Ganz ohne Dogma, ohne Missionierung. Aber mit einem klaren Ziel: Resiliente Gemeinschaften, die bereit sind, Verantwortung zu teilen.

Ist Demokratie eine säkulare Sehnsucht? Pfingsten steht für Verständigung. In einer Zeit, in der religiöse Bindungen bröckeln und politische Systeme hinterfragt werden, bleibt diese Sehnsucht bestehen: nach Gerechtigkeit, nach Zugehörigkeit, nach Sinn. Demokratie kann das leisten – nicht durch Glaubenssätze, sondern durch gelebte Praxis. Dafür braucht es alltägliche Orte, die den Dialog ermöglichen. Denn dort, wo wir miteinander arbeiten, können wir auch lernen, miteinander Gesellschaft zu gestalten. Das tragen wir als Haltung zurück in unsere Gemeinschaften bis hin zur Familie. 

Quellen: 

1.Themenbereich: Vertrauen in Staat und Demokratie

Bertelsmann Stiftung (2023): Demokratievertrauen in Deutschland

  • Titel: “Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Demokratievertrauen”
  • Zentrale Aussage: Vertrauen in demokratische Institutionen sinkt bei vielen Menschen, besonders in sozioökonomisch benachteiligten Gruppen.
  • Link: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/gesellschaftlicher-zusammenhalt-und-demokratievertrauen

Forschungsgruppe Wahlen / ZDF Politbarometer (laufend):

  • Zitiert regelmäßig die abnehmende Zustimmung zu Regierung und Parteien.
  • Besonders interessant: Werte zu Justizvertrauen vs. Politikvertrauen.
  • Link (z. B. Mai 2025): https://www.forschungsgruppe.de/Politbarometer/

Themenbereich: Religion als Ordnungssystem in verschiedenen Kulturen

Ruud Koopmans (2018): “Das verfallene Haus des Islam”

  • Eine empirische und differenzierende Studie zur Rolle von Religion, Staat und Recht in arabischen Gesellschaften.
  • These: In vielen mehrheitlich islamischen Ländern existiert eine hohe Zustimmung zu religiös motivierten Strafnormen, aber ein tiefes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen.
  • Koopmans ist Migrationsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).
  • Link zur Buchvorstellung: https://www.wzb.eu/de/personen/ruud-koopmans

Pew Research Center (2017): The Future of World Religions

  • Detaillierte Zahlen zu Einfluss und Selbstverständnis von Religionen weltweit.
  • Besonders aufschlussreich: Kapitel über politische Ordnung und religiöse Gesetzgebung.
  • Link: https://www.pewresearch.org/religion/2017/04/05/the-future-of-world-religions/

Themenbereich: Demokratie als Verfahren vs. religiöse Moral

Hannah Arendt (1958): “Vita activa oder Vom tätigen Leben”

  • Klassische Unterscheidung zwischen politischem Handeln (Pluralität, Aushandlung) und moralischer Überzeugung (Universalismus).
  • Relevanter Gedanke: Demokratie ist kein „Glaube“, sondern eine Praxis.
  • Empfehlung: Kapitel über “Handeln” und „Öffentlichkeit“.

Jürgen Habermas (2019): Auch eine Geschichte der Philosophie. Bd. 2

  • Habermas behandelt hier die Spannung zwischen Religion und demokratischer Vernunft ausführlich.
  • Kernaussage: Religion kann moralische Impulse geben, aber muss im öffentlichen Diskurs „übersetzt“ werden.
  • Quelle: ISBN 978-3-518-58644-4 (Suhrkamp)

Themenbereich: Demokratiebildung im Alltag

Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Themendossier „Demokratie lernen“

  • Sehr gute Quelle zur Frage, wie Demokratie in Alltag und Arbeit erlebbar gemacht werden kann.
  • Beispiele, Methoden, Argumente – auch zur „Demokratie als Haltung“.
  • Link: https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/

OECD (2021): The Role of Workplaces in Civic Engagement

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