Toxisch Reich. Eine Rezension

„Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ (GG, Art. 33 Abs. 1) Soweit die Theorie. In der Praxis untergäbt massiver Vermögensunterschied die Möglichkeit gleichberechtigter demokratischer Teilhabe.

Deshalb stellen wir heute ein Buch vor, dass dieses Problem unmissverständlich thematisiert. Bereits der Titel spricht Klartext: „Toxisch Reich“ von Sebastian Klein. Dabei ist der Autor kein mittelloser Marxist, der neidzerfressen (extrem) reichen Menschen ihr Vermögen missgönnt (was ja die immer gleiche Reaktion all derer ist, die jedwede Kritik an Reichtum diffamieren wollen). Ein ad-hominem-Argument greift in diesem Fall nicht. Denn Sebastian gehörte durch sein mühevolles und wagemutiges Unternehmertum (und viel Glück, wie er selber klarstellt) selbst dann noch zu den reichsten 5% der Deutschen, nachdem er 90% seines Vermögens aufgab. Er hatte es mit viel Aufwand und nach einer umwegreichen Zeit geschafft, durch den Verkauf seiner Anteile an dem Unternehmen Blinkist, dass er als Gründer mitaufgebaut hatte, zum fünffachen Millionär zu werden. Und es war genau diese Erfahrung, kontrastiert mit einer oftmals finanziell kargen Zeit, die ihn zum Nachdenken über Reichtum und dessen toxische Folgen für unsere Demokratie brachte.

Aufbau und Inhalte

Das Buch ist in zwei Teile gegliedert: „Heute“ und „Morgen“. Der erste Teil ist eine Analyse der Gegenwart: „Extremer Reichtum gefährdet unsere Demokratie“, der zweite bietet Lösungsvorschläge für die Zukunft: „Reichtum in Wohlstand für alle verwandeln“. Das Buch schließt mit einem „optimistischen Ausblick“. Alleine der Überblick über die einzelnen Kapitel in den beiden Teilen spricht für sich und was die Leser:innen erwarten können (was ja keineswegs immer so ist):

Heute

  1. Ungleichheit ist undemokratisch
  2. Vermögen hat immer eine dunkle Vergangenheit
  3. Nicht Leistung macht reich, sondern Erbe
  4. Reiche sind verantwortlich für die Klimakrise
  5. Ungleichheit ist schlecht für die Wirtschaft
  6. Ungleichheit macht politikverdrossen und spaltet
  7. Vermögen schützt vor Strafe
  8. Philanthropie ist undemokratisch
  9. Ungleich Gesellschaften sind schlechtere Gesellschaften

Da wir uns bei ZOON die Förderung und Entwicklung unserer Demokratie in die Satzung und damit auf die Fahne geschrieben haben, beschränke ich mich mit dieser Rezension auf die Folgen von (extremen) Reichtum für unsere Demokratie. Wieso, könnte man fragen, sollte Reichtum eigentlich ein demokratisches Problem sein? Die Antwort ist so simpel wie schwergewichtig: Geld bedeutet Macht. Genauer: Asymmetrische Gestaltungsmacht. Wer über extreme Vermögen in Form von dreistelligen Millionen- oder gar Milliardenbeträgen verfügt, kann jederzeit die persönlichen Interessen legal (!) durch Lobbyismus und Spenden durchsetzen. Bis hin zur Gesetzgebung durch die eigentlich unabhängige Legislative. Durchschnittliche Bürger:innen können hingegen nur dann einen weitreichenden Einfluss erreichen, wenn sie eine ausreichend große Menge an Mitbürger:innen aktivieren, die durch Instrumente wie Petitionen oder – noch wirkungsvoller – Volksentscheide den Prozess der Gesetzgebung oder einzelner anderer Entscheidungen in ihrem Sinne mitgestalten.

Der politischen Einflussnahme extrem reicher Personen oder Familien könnte man nun entgegenhalten, dass sie dafür umgekehrt Geld spenden und vieles finanzieren, was gemeinnützig ist. Das stimmt zwar teils, hat dafür aber meist einen hohen Preis: Denn die Philanthropie ist ihrerseits, wie Sebastian trefflich darlegt, reichlich undemokratisch. Die Philanthrop:innen entscheiden viel zu oft alleine, für was sie ihr Geld einsetzen wollen und stimmen ihr Engagement nicht demokratisch ab. Nicht selten wird gefördert, was zwar theoretisch allen zu Gute kommen kann, wie ein Museum, was aber keine dringenden Probleme löst. „Themen, die in der Philanthropie massiv unterrepräsentiert sind, sind dagegen zum Beispiel feministische Anliegen oder solche von Menschen mit Migrationsgeschichte und Menschen, die von Armut betroffen sind.“ (S. 118) Und schließlich erzeugt die Philanthropie Kollateralschäden, von denen nicht klar ist, ob sie den Nutzen überwiegen: Stiftungsvermögen werden in Unternehmen und Branchen angelegt, die beispielsweise viel zu hohe CO2 Emissionen aufweisen. Außerdem entgehen dem Staat auf diesem Weg Steuereinnahmen, die nicht nach dem Gutdünken einer Person oder Familie genutzt werden. Genau deshalb sollte „die Philanthropie der Zukunft Projekte [finanzieren], die Philanthropie überflüssig machen. Dazu gehört zuallererst, die Ungleichheitskrise strukturell zu lösen“ (S. 119)

Einen weiteren direkten Einfluss hat (extremer) Reichtum auf unsere Demokratie, da er zu einer gewissen Politikverdrossenheit führt und Spaltungstendenzen aufweist. Erstens wird ganz handfest demokratische Teilhabe zum Privileg, wenn Menschen finanziell trotz großer Anstrengungen nur gerade so ihr Leben finanzieren können und in ständiger Sorge leben müssen, ob und wie sie später als Rentner:innen klarkommen. Da bleibt im Feierabend oft nicht mehr ausreichend Energie, geschweige den finanzielle Ressourcen, um sich in einer Partei, einem Verein oder der Gemeinde zu engagieren. So ist es nicht verwunderlich, dass der demokratische Spillover-Effekt, also der Übertrag von demokratischen Haltungen, Kompetenzen und Selbstwirksamkeitserwartungen von der Arbeit in die Freizeit bei körperlich anstrengenden Jobs signifikant geringer ist, als bei Angestellten, die eher geistigen Tätigkeiten nachgehen (Staines 1980). Des Weiteren können sich zwar formal alle deutsche Staatsbürger:innen in politischen Parteien engagieren, stehen aber neben der finanziellen Problematik oftmals auch noch vor dem Problem, durch Bildungsnachteile von der Parteiarbeit und vor allem höherer politischer Ämter ausgeschlossen zu sein. Nicht umsonst sind ungefähr 80% der Bundestagsabgeordneten Akademiker:innen, während der Anteil in der Bevölkerung mit rund 20% genau umgekehrt ist. Und der Bildungsgrad ist wiederum stark beeinflusst von der finanziellen Ausstattung.

Alleine diese drei Aspekte sollten mehr als ausreichend verdeutlichen, dass extremer Reichtum und eine stark ungleiche Vermögensverteilung für unsere Demokratie schädlich ist. Schon deshalb ist die Kritik mehr als berechtigt und wichtig.

Morgen

  1. Eine neue Leistungsgesellschaft
  2. Maximale Transparenz
  3. Ein Steuersystem, das der Gesellschaft dient
  4. Chancengerechtigkeit
  5. Neue Eigentumsformen und eine gemeinwohlorientierte Marktwirtschaft
  6. Regeneratives Kapital

Die Zukunftsteil fällt leider deutlich kürzer aus als die Analyse der Gegenwart. Teil eins umfasst 129 Seiten, Teil zwei nur knapp 60, was sich auch in der Anzahl der Kapitel spiegelt. Die Analyse nimmt also deutlich mehr Raum ein, als die Lösungsvorschläge. Nichtsdestotrotz lohnt der Blick ins „Morgen“

Zentral und trefflich steht an erster Stelle die Entwicklung und Etablierung einer „neuen Leistungsgesellschaft“. Denn die Meritokratie ist das fundamentale Narrativ einer fortlaufend ungleichen Gesellschaft. Dieses Narrativ verspricht, dass jede und jeder auch finanziell erfolgreich sein kann, wenn sie oder er sich nur ausreichend anstrengt und etwas leistet: Vom Tellerwäscher zum Millionär. Dabei ist längst klar, dass die sogenannten Leistungsträger ihr Vermögen überproportional vor allem Erbschaften zu verdanken haben. Wir leben also vielmehr in einer Erben- als in einer Leistungsgesellschaft. Das Fatale ist dabei, dass gerade auch diejenigen, die über kaum oder gar kein Vermögen verfügen, dieses Narrativ glauben – weil sie hoffen, dass auch sie eines Tages am oberen Ende der Fresskette stehen. Um dem entgegenzuwirken, schlägt Sebastian eine „ehrliche Diskussion darüber [vor], welche Gehaltsspannen vertretbar und fair sind.“ (S. 133). Zweitens könnten und sollten Berufe und Tätigkeiten auf der Basis des gesellschaftlichen Mehrwerts bezahlt werden, den sie leisten. Methodisch könnte dies in Anlehnung an eine interessante Studie des New Economic Forum durch den „social return on investment“ geleistet weren (Lawler et al. 2009).

Ebenso braucht eine gleichere und somit demokratischere Gesellschaft „neue Eigentumsformen und eine gemeinwohlorientierte Marktwirtschaft“. Mit der neoliberalen Wende in den 1980ern Dank Margret Thatcher und Ronald Reagan kam es zu einer Welle von Privatisierungen von grundlegenden Dienstleistungen wie dem Gesundheitswesen oder der Wasser- und Energieversorgung. Immer mit dem Argument, der Staat würde ineffizient operieren, während marktwirtschaftlich orientierte Unternehmen durch den Wettbewerb zu wesentlich mehr Effizienz gezwungen wären. Dabei ist längst erwiesen, dass dieses Argument nicht wirklich haltbar ist (vgl. Zeuch 2019). Statt dessen sollten wir uns „fragen, was Märkte überhaupt leisten und ob alle Güter am Markt gehandelt werden sollten. Sollte alles nach den Regeln von Angebot und Nachfrage verteilt werden?“ (S. 172) Dass es anders viel erfolgreicher geht, zeigen Beispiele wie der Wiener Wohnraum, bei dem die Stadt mit 200.000 Wohnungen der europaweit größte kommunale Immobilienverwalter ist. Mit den Effekt, dass dort die Wohnsituation deutlich weniger angespannt ist als in München, Berlin oder Hamburg. Und schließlich brauchen wir mehr alternative und neue Gesellschafts- und Eigentumsformen wie Genossenschaften (die in Deutschland in den letzten 100 Jahren von rund 50.000 auf nur noch 8000 zurückgegangen sind), Verantwortungseigentum sowie gemeinnützige Gesellschaften wie gGmbH, gUG und gemeinnützige Vereine, die ebenfalls als Arbeitgeber fungieren können.

Ein weiterer und vielleicht für viele der unbekannteste Baustein ist die Idee regenerativen Kapitals. Normalerweise streben Kapitaleigner:innen nach einer möglichst schnellen und großen Rendite, also der Vergrößerung ihres oftmals ohnehin schon exorbitanten Vermögens. Und das dient so gut wie nie der Gesellschaft insgesamt, sondern nur den Eigner:innen. Statt dessen müsste zum Beispiel Wagniskapital zukünftig geduldig sein, anstatt ein möglichst schnelles Wachstum anzustreben. Das Kapital sollte keine Kontrolle ausüben, was es im Normalfall aber macht. Und es dürfte eben nicht nach der überdurchschnittlichen Rendite streben. Um das alles zu erreichen, schlägt Sebastian eine gesellschaftliche Rendite vor: „Dieser Mehrwert sollte unmittelbar sein, also nicht indirekt über Gewinne, sondern direkt sichtbar in Form einer Verbesserung unserer Lebensum stände, der Regeneration sozialer und ökologischer Systeme. Die Rolle von Kapitalgeber:innen muss darin bestehen, diesen Impact zu finanzieren und erst nachgelagert zu fragen, ob dabei auch eine finanzielle Rendite entstehen kann.“ (S. 186)

Fazit

Das Buch ist leider dringend nötig, da weltweit 2.153 Milliadär:innen über so viel Vermögen wie rund 60 Prozent der Weltbevölkerung verfügen (Oxfam 2020) und in Deutschland Dieter Schwarz und die Familie Boehringer und von Baumbach mit mindestens 95 Milliarden Euro Vermögen mehr als die ärmere Hälfte der deutschen Bevölkerung besitzt (https://ungleichheit.info/de/deutschland).

Es lohnt sich für alle, die sich erstens bislang noch nicht intensiv mit der Thematik befasst haben und die zweitens keinen großen Wert auf lange und wissenschaftliche Literaturverweise legen. Sebastian hat es geschafft, ein sperriges Thema sprachlich leicht zugänglich zu verpacken. Das Buch ist schnell gelesen und bietet für spätere Diskussionen Argumente und Fakten, um toxischen Reichtum Stück für Stück abzubauen. Besonders überzeugend ist dabei, dass der Autor nicht nur selbst zur finanziellen Elite gehörte, sondern 90% seines Vermögens für gemeinnützige Zwecke zur Verfügung stellte.

Fraglich bleibt nur eins, aber das gilt für alle gesellschaftskritischen Bücher: Kann auf diesem Weg eine gesellschaftlich breite Debatte angestoßen werden, wenn doch viele der hauptsächlich Betroffenen Bürger:innen nicht dazu neigen, diese Bücher zu finden und zu lesen? Deshalb ist es wichtig und richtig, das Sebastian auch und gerade medial durch sein Buch immer präsenter wird, so wie das Video oben demonstriert.

Alles in allem wünsche ich dem Buch eine maximale Verbreitung noch viele Auflagen. Wer nach gut verdaulicher gesellschaftskritischer Lektüre für sich selbst und zum Verschenken sucht, wird hier fündig.

Literatur

  • Klein, S. (2025): Toxisch Reich. Oekom Verlag
  • Lawler, E. et al. (2009): A bit rich. Calculating the real value to society of different professions. new economic foundation
  • Staines, G. (1980): Spillover Versus Compensation. A Review of the Literature on the Relationship Between Work and Nonwork. Human Relations 33(2): 111–29
  • Zeuch, A. (2019): Das Märchen von mehr Effizienz. Blog der unternehmensdemokraten

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